Deutschland in 9 Tagen
Mit dem Tretroller von Füssen nach Flensburg
Kleidung:
- 2 Funktions Shirts ohne Arm
- 2 Funktions Shirts mit kurzem Arm
- 1 Fleece Weste
- 1 Regenjacke
- 1 lange Hose
- 1 kurze „Radler“ Hose
- 1 knielange Hose
- 3 Paar Socken
- 3-mal Unterwäsche
- 1 Paar Handschuhe
- 1 Paar Turnschuhe
Werkzeug:
- 1 Luftpumpe
- 4 Schläuche (2x20 und 2x28)
- Flickzeug und Reifenheber
- 1 Alien
- 1 Erste-Hilfe Päckchen
- 1 Schloß
- 4 wasserdichte Tüten
- 1 kleines Päckchen Putztücher gegen Schmierfinger
Diverses:
- 1 Sonnenbrille
- 1 Regenhülle für meinen Rucksack
- 1 Badetuch (Microfaser)
- 1 Handtuch (Microfaser)
- 1 Trinkblase
- 10 Radkarten
- 1 Taschenmesser
- 1 Göffel (Gabel, Messer und Löffel in einem)
- 1 Stirnlampe
- 1 Rücklicht
- 1 Tube Waschmittel
- Zahnbürste, Zahncreme, Shampoo + Duschgel (Mini Ausführung)
- 1 Flasche Sonnenöl
- 1 Notizheft mit Stift
- Reichlich Magnesium Tabletten und Aspirin (Aspirin habe ich nicht benötigt)
- Hirschtalg
- Powerriegel, Gel Tüten und Energie-Marshmellows (jeweils etwa 10 Stck.)
- 1 Kamera mit Ladegerät
- 1 Handy mit Ladegerät
- 1 Bikini
- 2 Glücksbringer (Schweinchen Rosalie und einen Elch vom Outdoor Ausstatter)
Alles verpackt in einer Lenkertasche (7L), einen wasserdichten Packsack (10l) und einem kleinen Trinkrucksack (6+2L).
Um mir unnötige Pannen zu ersparen, hoffe ich auf den „schussfesten“ Schwalbe Durano Plus.
Für das Hinterrad gibt es leider nur den normalen Durano.
Der Vorderreifen ist erheblich schwerer als all die Reifen die ich zuvor gefahren habe. Doch in diesem Fall ist mir die Pannensicherheit wichtiger.
Meinen täglichen Konsum neben der normalen Nahrung habe ich ebenfalls festgehalten.
In den neun Tagen habe ich etwa:
24 Cappuccino oder Kaffee
13 Bier a 0,5 Liter
getrunken.
6 Gel Tütchen und 6 Power Riegel
3 Energie Marshmallows vernascht.
Höchste Geschwindigkeit: 65,95 km/h
Höchster Schnitt: 19,03 km/h
Geringster Schnitt: 15,48 km/h
Gesamte Kilometerleistung: 1.078,86 km
Insgesamt habe ich mich zu meinem Erstaunen nur zweimal verfahren:
Einmal bei Harsum, vor Lehrte, hier hat mich meine Karte angeflunkert.
Ein weiteres Mal in Hamburg - Was für ein Landei wie mich nicht verwunderlich erscheint.
Die Gesamten Kilometer verliefen ohne jegliche Panne Muskelkater oder Wadenkrämpfe!!!
Wir reisen am 11. Juli in Füssen an.
Bernd setzt mich bereits heute vor der Füssener Innenstadt ab, da ich heute noch an die österreichische Grenze rollen möchte. Ich fahre zwar morgen über Füssen, möchte mir jedoch den Umweg bis Tirol ersparen. Der Roller ist schnell zusammen gesteckt und ich fahre durch die Füssener Innenstadt am Kloster vorbei bis zum Lechfall. Dort finde ich den Hinweis, dass Österreich nur noch 700 m entfernt liegt. Ich genieße den Ausblick und bitte ein paar erstaunte Touristen ein Foto von mir zu machen. Wir unterhalten uns kurz und erst jetzt wird mir klar, dass mein Vorhaben (zumindest für mich) nicht winzig ist. Egal, denke ich mir, jetzt ist es eh zu spät. Die Fotos sind gemacht und ich fahre zur Grenze die mir durch unsere Oldtimer Touren bereits sehr vertraut ist. Hier verläuft auch die berühmte Via Claudia Augusta (mein Vorhaben für das kommende Jahr). Auch hier habe ich noch flink ein paar Bilder gemacht und mache mich auf den Weg nach Eisenberg zu unserem Hotel. Das ist schnell erreicht und ich freue mich schon auf den Abend mit Jenny und Matthias. Für meinen Roller ist im Hotel zwar ein Fahrradraum vorgesehen, doch der gefällt mir nicht so recht. So darf mein Roller mit auf unser Zimmer. Hier steht er auf kuscheligen, frisch verlegten, cremefarbenen Teppichboden. Das hat er sich verdient und ich kann beruhigter schlafen.
Am 12. Juli 2012 geht es los.
Ich starte nach einem genüsslichen Frühstück (mit Obazda) gegen 9.45 Uhr am Gockelwirt in Eisenberg. Ich fahre erneut über Füssen. Die Strecke ist recht hügelig, für mich noch ungewohnt. Die riesigen Berge werden schnell kleiner. Ich rolle über Kaufbeuren, Mindelheim und entgegen meiner Planung über Krumbach bis nach Günzburg.
Mindelheim ist bergig, mit Steigungen von 11-12%. Nach einer entspannten Abfahrt entdecke ich ein paar hundert Meter vor mir einen Bauern, der vom Feld auf die Straße abbiegt. Eine willkommene Abwechslung denke ich mir und nutze über etwa 5 km seinen Windschatten. Der arme Bauer war so sehr irritiert, dass er mehrfach drohte unkontrolliert die Straße zu verlassen!
Die Radwege sind gut ausgebaut, bis auf die landschaftlich schönere Strecke kurz vor Günzburg. Hier überrascht mich der Radweg doch sehr. Es ist ein festgefahrener Weg mit riesigen Schottersteinen. Leider sind es etwa 15 km meiner gesamten Strecke heute, aber immerhin als Radweg ausgewiesen. Das Erste Mal 1:0 für meine Reifen. Das Unterallgäu beginnt kurz vor Mindelheim und damit auch die für uns typische Landwirtschaft. Die Kühe bekommen wieder Flecken und es gibt Mais- und Kornfelder. Ich entschließe mich mit einem Blick auf meine Karte die Jugendherberge in Günzburg aufzusuchen. Es ist zwar ein kleiner Umweg doch so muss ich mir kein Hotel suchen. Es ist sogar noch ein Plätzchen in einem Einzelzimmer frei.
Die Günzburger Altstadt ist schön. Ich erfahre, dass es sich um eine alte Münzpräger Stadt handelt. Wegen der günstigen Wasserläufe wurde hier mit Wasserkraft bis 1807 Münzen geprägt. Die bedeutendste Münze ist die „Maria-Theresien-Münze“ die noch heute in Wien geprägt wird. In mitten der Altstadt befindet sich ein wirklich sehenswertes Schloss. Das Wetter ist angenehm und ich suche mir ein Plätzchen in der Fußgängerzone. Das Lokal bietet lokale Leckeritäten an, was mir sehr gelegen kommt. Bei Käsespätzle kann ich einfach nicht Nein sagen. Ich habe mir vorgenommen abends ein Bierchen aus der Region zu trinken. Ein Blick in die Karte verrät mir zwar nichts lokales aber zumindest ein Hacker-Pschorr-Animator. Ich fand den Namen recht passend. Auch wenn ich noch nicht so recht wusste um was es sich eigentlich handelt. Als es auf dem Tisch stand, wusste ich warum es „Animator“ heißt. Ich habe mir doch glatt ein Doppelbock mit 8,2 % bestellt. Mich animierte den Abend nichts mehr und ich konnte ausgesprochen gut schlafen.
Freitag 13. Juli 2012 135,01 km
Günzburg - Gundelfingen - Lauingen – Ziertheim – Dischingen – Neresheim – Bopfingen – Tannhausen – Dinkelsbühl – Feuchtwangen – Wörnitz – Rotenburg o.d.T.
Start in Günzburg morgens um 9.00 Uhr, es regnet. Die nächsten 20 km war ich damit beschäftigt, meine Regenjacke auszuziehen, Weste an- und auszuziehen, Rucksack zu prüfen und umzupacken, Schuhe neu zu schnüren…! Kurz um, es lief nicht! Irgendwie hatte mein Körper nicht so Recht Lust auf Kooperation. Die Landschaft ist bis Bopfingen nicht wirklich erwähnenswert. Das heißt nicht, dass es nicht spannend war. Dafür sorgten reichlich rücksichtslose Holzlaster-Fahrer auf der Straße. Gut das ich meine Regenhülle (leuchtgelb) über meinen Rucksack gezogen hatte. Diese „Tüte“ ist meine Lebensversicherung auf den Straßen und ich beschloss sie nicht mehr abzunehmen. Es ist inzwischen mein Sport geworden, mich flink auf die Grasnabe zu stürzen um Schutz zu suchen.
In Dischingen und Neresheim stehen auf den Anhöhen Klöster. Das in Neresheim habe ich ja noch fotografiert. Das Kloster in Dischingen sah von weitem ja noch schön aus, aber umso näher man kam, umso gruseliger wurde es. - „Dort wohnen sicherlich heute noch Gespenster“ – dachte ich mir und habe vor lauter Grusel vergessen das Ding zu fotografieren. Die Landschaft ist noch immer sehr bergig und es ist mir auch nicht mehr peinlich den ein- oder anderen Berg zu schieben. Diese Hügelketten sind nämlich gemein! In Bopfingen hat mich spontan ein Herr zu einer Stadtführung eingeladen. Ich wollte aber heute unbedingt noch nach Rothenburg, sonst hätte ich mich eventuell darauf eingelassen. Derartige Kontakte finde ich immer interessant, doch heute lieber nicht.
Die Altstadt von Bopfingen ist nett. Ich verbringe meine Mittagspause hier und betrachte den merkwürdig aussehenden Berg vor mir, den haben vor vielen Jahren die Kelten abgetragen. – Wenn es die Kelten wenigstens ordentlich gemacht hätten, dann hätten es die Römer sicherlich weiter geschafft als bis nach Osnabrück und die Rollerfahrerinnen müssten sich auch nicht so quälen! – Den Meteoriten Krater bei Nördlingen wäre auch noch interessant. Doch ich mag bei diesen Bergen keine Umwege mehr fahren. Zumindest weiß ich jetzt, dass der Rastplatz „Ellwanger Berge“ seinen Namen zu Recht trägt.
In Dinkelsbühl hätte ich die Tour gerne beendet. Dort gibt es eine wunderschöne Altstadt mit den alten Patrizier-Häusern wie ich sie aus Rothenburg kenne. Doch ich habe bereits am frühen Morgen meine Jugendherberge in Rothenburg gebucht. Bis Wörnitz ist es eine Qual und ich denke ernsthaft darüber, nach mir ein Taxi zu rufen. Das Angebot der Dame, die mir hinter Bopfingen Respekt zollte und mir eine Mitfahrgelegenheit in ihrem Caddy angeboten hatte, habe ich ja auch schon ausgeschlagen. – Dummer Ehrgeiz!
Gott sei Dank sind es von Wörnitz nur noch 20 km und es geht hin und wieder auch bergab. Ich stelle fest, dass die Kirchtürme bis kurz vor Rothenburg Zwiebeltürme tragen, was mich sehr an Russland erinnert. Ab Rothenburg werden die Kirchtürme eckig und viele Turmuhren sind in der oberen Ecke des Turms angebracht, wieder etwas Neues entdeckt! Zwiebeltürme wurden gebaut, damit sich nichts Böses in den Ecken verstecken kann und man jeder Himmelsrichtung gerecht wird. Scheinbar doch ein versteckter Hinweis darauf, dass es hier in der Gegend Gespenster gibt!
Ich glaube ich habe mich selten so über die Ankunft in Rothenburg o.d.T. gefreut wie heute. 135 km hinterlassen ihre Spuren und das muss eine Hax mit Sauerkraut und Knödel wieder ausgleichen. Das lokale Bier in Rothenburg schmeckt nicht. Daher bleibe ich beim Hacker. Die Jugendherberge in Rothenburg ist toll. Sie liegt direkt in der Altstadt hinter der alten Stadtmauer. Hier beziehe ich ein Mulitikulti-Mehrbettzimmer mit zwei Frauen aus Amerika. Für die beiden ist ein Besuch in Rothenburg Pflicht. Mein Roller übernachtet heute im Verließ des Hause.
14. Juli 2012 119,17km
Rothenburg o.d.T. – Steinfeld – Adelhofen – Marktbreit – Kitzingen – Dettelbach – Schweinfurt – Bad Kissingen
In Rothenburg nehme ich mir noch ein wenig Zeit. Der Fahrradladen, bei dem ich noch ein wenig Luft tanken möchte, macht erst um 9.00 Uhr auf. Ich stelle fest, dass ich diese Stadt liebe. Die alten Patrizier-Häuser haben einen ganz besonderen Charme, die internationalen Besucher sind amüsant und ich entdecke jedes Mal etwas Neues. Ich unterhalte mich vor der Jugendherberge mit einem Pärchen aus Soest. Sie möchten mit ihren Fahrrädern nach Würzburg fahren. Genauso erstaunt wie ich über ihr Gepäck bin, sind sie über meins verwundert. So fängt sich gleich die radelnde Dame einen Rüffel von ihrem Mann ein, das sie zu viel mitgenommen hat. Ein wenig später treffe ich am Brunnen auf dem Marktplatz Roß und Dirk. Sie fahren von Gent nach Istanbul. Laut Planung benötigen sie dafür etwa 5 Wochen und fahren ca. 135 km am Tag. Ich möchte am liebsten mit ihnen mit rollen. Dagegen ist meine Strecke ein Picknick! Sie berichten täglich auf ihrer Internet Seite. Auch mich haben sie brav erwähnt.
So hat sich mein heraus gezögerter Start gelohnt. Ich mache mich auf den Weg in den Fahrradladen. Er liegt genau auf meiner Strecke. Natürlich sind die Jungs im Radladen über meinen Tretroller recht erstaunt. Einer von den beiden möchte unbedingt eine Proberunde fahren, ich gönne sie ihm. Er hat zwar seine Freude, es ist ihm aber doch zu anstrengend.
So vergeht die Zeit und es ist bereits 11.00 Uhr als ich mich auf den Weg nach Bad Kissingen mache. Bernd hat dort ein Hotel gebucht. So sehe ich meinen stillen Begleiter bereits nach zwei Tagen wieder. Ich freue mich so sehr als seien es bereits Wochen her.
Meine Morgenmuffeligkeit holt mich wieder ein.
Ich benötige wieder 20 km um meinen Tritt zu finden. Ich rolle durch verschlafene Dörfer. Unzählige Schwalben begleiten mich mit ihrem Gezwitscher. Die Sonne scheint und es riecht nach Kühen. Das Wolkenbild ist beeindruckend, doch verrät es leider nichts Gutes.
So werde ich ein paar Kilometer meinem beliebten Zweitsport gerecht, Regenjacke an- und wieder ausziehen.
Die Landschaft ist, wie nicht anders zu erwarten, noch recht hügelig. Kurz vor Marktbreit entdecke ich einen wunderschönen Seitenstreifen. Blumen über Blumen säumen die Straße. So etwas sehe ich nicht wenn ich hier mit dam Auto vorbeirase, denke ich mir und genieße die Blumenpracht. In Marktbreit mache ich zuerst Pause am Main. Zur Abwechslung scheint gerade die Sonne, die Wärme tut gut und ich sehe zum ersten Mal auf die geordneten Weinberge. Doch wollte ich nicht weiter fahren ohne mir Marktbreit genauer angesehen zu haben.
So finde ich eine kleine Altstadt mit einem Flusslauf und einer recht schönen Kirche. Neben der Kirche ist das Cafè „Gleichklang“. Hier sitzen bereits mehrere Radfahrer und ich geselle mich dazu. Ein Cappuccino kommt mir gerade Recht (für satte 4,00 € würde ich auch im „Gleichklang“ leben). Eine inzwischen ergraute Dame mit Pipi-Langstrumpf-Zöpfen serviert ihn mir. So wie ich meine Tasse vor mir stehen habe, fängt es auch wieder kräftig an zu regnen als hätte jemand die Schleusentore geöffnet. Ich nehme meinen Kaffee und setze mich lieber in die plüschige aber geschmackvolle Gute Stube. Dieses soll der letzte Regenschauer für heute gewesen sein. Ich mache mich wieder auf den Weg und genieße den perfekten Radweg. Zu meiner Linken die Weinberge, zu meiner Rechten den Main, von hinten leichten Rückenwind und von oben brennt die Sonne.
Vor Kitzingen bekomme ich die hügelige Landschaft von ihrer unschönen Seite zu spüren. Ich merke, dass mir die Berge kaum noch etwas ausmachen (zumindest zu Beginn meiner Tagesetappen). Ich höre hinter mir eine schlecht eingestellte Scheibenbremse schleifen. - Aha, ein Mountainbiker der es wissen will! - Natürlich überholt er mich am Berg, das darf er auch. Er ist offensichtlich auf seiner Hausrunde und gibt alles. Oben auf der Kuppe angekommen, sehe ich den verbissenen Radler im höchsten Gang bergab strampeln. Ich verstecke mich hinter meinem Gepäck und lasse es rollen. Als ich ihn überhole zeige ich ihm mit der rechten Hand den Daumen nach oben. Der Ärmste, denke ich mir und freue mich über verwunderte Motorradfahrer am Straßenrand. Für mich eine willkommene Möglichkeit ein Päuschen zu machen. Ich lasse ihn ziehen und plaudere ein wenig mit der von Gruppe von BMW-Fahrern.
Bis Schweinfurt läuft alles wunderbar auf hervorragenden Radwegen oder neben der Straße gebauten Wirtschaftswegen. Selbst ein unschönes Atomkraftwerk bekomme ich zusehen. In Schweinfurt frage ich lieber kurz nach dem Weg, aber meine Vermutung war richtig. Durch Schweinfurt geht es, wegen der Ampeln und Fußgängerüberwegen, nur langsam voran. Doch danach wird es auch nicht besser! Die Bundesstraße (mit Radweg) ist zwar nur mäßig befahren, aber teilweise extrem steil. Als ich endlich nach Bad Kissingen abbiegen möchte, ist die Ortsdurchfahrt Oerlenbach auch noch gesperrt. - Nicht mit mir!!! Ich bin nicht mehr bereit, nach den ollen Bergen auch nur einen Meter mehr zu fahren! Ich ignoriere das Schild – und… es klappt! Hinter Oerlenbach kämpfe ich mich erneut einen fiesen Berg herauf um anschließend gemäßigt einen kleinen Hügel wieder bergab zu fahren. Kurz darauf der letzte Anstieg vor Bad Kissingen, auch dieser hat es wieder in sich. Ich hoffe, dass Bad Kissingen in einem Tal liegt. Es ist so und die letzte Abfahrt (völlig entkräftet) ist ein Genuss.
Das von Bernd gebuchte Hotel liegt direkt in meiner Einflugschneise.
Ein wunderbares, kleines Romantik Hotel mit vielen Sternen. Ich freue mich sehr. Doch selbst die Dusche mag mich heute nicht mehr retten. Ich muss morgen unbedingt mit anderen Turnschuhen starten. Meine Lieblings Rollerschuhe sind für diese Tour einfach zu flach, es schmerzt in den Füßen.
Auf dem Weg ins Restaurant, treffe ich den Inhaber des Hotels. Er sieht mich an als hätte er noch nie eine Frau gesehen. Dabei war ich doch bereits frisch geduscht und gefönt. Bernd hat ihm von meiner Tour berichtet. Ich muss ihm umgehend meinen Roller zeigen. Er steht noch immer fassungslos vor meinem Tretroller. Ich erkläre ihm das Gerät kurz und freue mich, mich jetzt seinen Kochkünsten hinzugeben. Der Mann ist nicht nur ein begnadeter Einrichter, er ist auch noch ein Sternekoch. Was mir ausgerechnet heute nicht so recht passt. Aber die Mini-Portion Zander an vorbei getragenem Aal mit einem Hauch von Spinat war lecker. Nach dem Cappuccino verschwinde ich im Bett. – Gute Nacht!
15. Juli 2012 62,39 km
Bad Kissingen - Minnerstadt – Nordheim/Röhn – Flandungen – Melpers – Kaltensudheim
Es ist Sonntag. Der Morgen ist eine Qual! Ich brauche ewig, meine Beine wollen nicht und ich bin müde. Da hilft auch kein Kuscheln.
Das Frühstück war exzellent, selbst frisch gepresster Orangensaft fehlte nicht.
So kann ja heute nichts mehr schief gehen… dachte ich zumindest. Ich glaube jeder Hotel Angestellte musste sich meinen Roller ansehen. Auch ein Paar Gästen wurde jetzt klar, warum ich zum Frühstück 2 Brötchen und Fruchtquark vernascht habe. Alle wünschten mir eine gute Fahrt und alles Gute. Schnell noch einmal meinen Mann gedrückt und… schon regnete es wieder. Also noch 5 Minuten gewartet, noch ein Küsschen und los geht es.
Zwei Ampelkreuzungen weiter regnete es erneut sehr ergiebig. Den Berg, den ich gestern so entspannt herunter gerollt bin, musste ich heute auf der anderen Seite wieder hinauftreten, etwa 10 km bei stärksten Dauerregen. Oben auf der Bundesstraße angekommen, stand das Wasser auf der Straße und in meinen Schuhen. Ich bin noch eine Weile tapfer – es geht auf einer frisch geteerten Straße Berg ab, doch ich merke eigentlich geht heute nichts mehr.
In Münnerstadt leere ich das erste Mal meine neuen Turnschuhe, in Flandungen ein weiteres Mal. Wenigstens erwärmt sich das Wasser nach einer Weile in den Schuhen. Ich merke, ich habe heute keine Kraft mehr. Die Städte, durch die ich fahre, scheinen verlassen, hier hat heute alles geschlossen. Weder an Tankstellen noch beim Konditor oder einem Bäcker bekomme ich etwas zu essen oder zu trinken. Nur ein paar Rennradfahrer begegnen mir. Sie scheinen an einer RTF teilzunehmen. Viele die erkannt haben, dass ich mit einem Roller unterwegs bin, rufen mir zu, dass sie es klasse finden, das muntert mich auf. In Melpers geht mir auch noch mein Wasser aus. Ich befinde mich direkt an der Thüringischen Grenze. Ein Stückchen hinter dem ehemaligen Todesstreifen sehe ich einen Brunnen… mit der Aufschrift „Kein Trinkwasser“! Hier beobachtet mich doch einer, denke ich mir, während die Straße vor sich hin dampft und mir zur Abwechslung die Sonne auf den Allerwertesten brutzelt. Ohne Wasser geht hier gar nichts. Es ist aber auch niemand zu sehen der mir helfen könnte - was für eine trostlose Gegend!
Ein Stückchen weiter habe ich Glück. Ich treffe auf einen Herrn, der zufällig an seiner Einfahrt steht. Ich frage ihn ob er mir behilflich sein kann. Das tut er offensichtlich gerne und freut sich über das kurze Gespräch. Auf seinem Klingelschild lese ich, dass seine Frau eine Fußpflege betreibt. Was würde ich jetzt dafür geben?! – Hier beobachtet mich tatsächlich jemand und macht sich vermutlich gerade über mich lustig! Es ist zwar noch recht früh am Nachmittag, dennoch frage ich den Herrn nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Die sind offensichtlich genauso rar wie Tankstellen, Bäcker und Cafès. Im nächsten Ort scheint etwas zu sein. Das Wasser, so erklärt er mir, kommt aus dem Westen! – Aha!! Ich rolle den nächsten fiesen Berg hinauf. Hinter mir wird ein Fahrzeug langsamer und hält auf meiner Höhe. Es sind die Jungs vom örtlichen Radsport Club, die ihre RTF Schilder wieder einsammeln. Sie bieten mir ein paar Bananen und Riegel an. Doch ich bin gut versorgt, denn heute ist Bananen Tag! Eine Bio Banane aus dem Hotel, eine Astronauten Banane in Gel Form und eine in chemisch fester Riegel Form – Lecker.
Essen mag ich auch nicht mehr. So lasse ich die beiden ziehen und beschließe das nächste Hotel aufzusuchen und habe Glück. In dem von dem Herrn aus Melpers genannten Gasthaus ist noch ein Zimmer frei. Goethe soll in diesem Haus auch schon einmal genächtigt haben. Der Inhaber scheint ein Bierliebhaber zu sein. Hier gibt es sechs Sorten frisch gezapft. Das wundert mich ein wenig. Doch da das Kulturprogramm in dem Dorf recht übersichtlich ist, treffen sich abends alle in dem Lokal. Ich probiere das Röhnbier aus Kaltennordheim. Es schmeckt recht lecker. Ob das Brauwasser auch aus dem Westen kommt?
16. Juli 2012 139,2km
Kaltensudheim – Kaltennordheim – Dermbach - Stadtlengsfeld – Dermdorf – Bekra – Richelsdorf – Sontra – Richtung Eschwege – Bad Sooden/Allendorf – Witzenhausen – Eichendorf – Göttingen
Kaltensudheim ist noch recht westlich geprägt. Doch bereits in Dermbach hatte ich das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. Hier sieht es genauso aus, wie ich den Osten als Kind in Erinnerung habe. Häuser mit Bruchsteinsockel (einem sehr porösen Stein aus der Rhön) und merkwürdigen Verschalungen an den Hauswänden. Die Schwalben flitzen um mich herum und in der Luft liegt ein merkwürdiger Geruch. Der Weg nach Dermdorf ist erschreckend. Ich zähle sieben Kreuze mit Namen an den Bäumen auf einer Distanz von einem Kilometer! Das ist der Preis der alten Alleen. In Dermdorf ist die Luft bleiern, es riecht nach Braunkohle. Die Dörfer werden karg, fast bizarr! Ich entdecke eine verfallene Fabrik für Bergwerksmaschinen. Die Natur erobert sich das Areal seit Jahren zurück. Ein Stückchen weiter Richtung Bekra führt mich die Straße durch ein Waldstück. Es ist dunkel, frisch und riecht besonders intensiv nach Tannen. Das in mir aufsteigende Unbehagen lässt sich nicht beruhigen. Die damaligen Todesstreifen sind nicht weit. Ich höre noch heute das Gebell der Kettenhunde an der Grenze. Bloß schnell weg hier denke ich und will Gas geben. Doch leider hört plötzlich die fein geteerte Straße auf und führt mich auf handverlegten Basaltkopfsteinpflaster weiter. An Fahren ist hier nicht zu denken. So schiebe ich lieber. Einen Platten kann ich hier nun wirklich nicht gebrauchen, eine Gegend wo sich Wölfe, Gnome und Elfen gute Nacht sagen. Etwa vier Kilometer weiter habe ich wieder Asphalt unter den Rädern.
Ich fahre weiter nach Bekra wo ich meine Mittagspause mache. Die Beschilderung lässt hier sehr zu wünschen übrig. So frage ich nach dem Weg Richtung Richelsdorf. Gut - hier kann man zwar nach einem Supermarkt oder einer Apotheke fragen aber lieber nicht nach dem nächsten Dorf. Instinktiv folge ich der Sonne und finde Richelsdorf nach vier bis fünf Kilometern. Ein Stückchen noch und ich bin wieder im „gewohnten Westen“. Ich hätte nie gedacht, dass der Unterschied stellenweise noch so groß ist - erschreckend. Auf dem Weg Richtung Bad Sooden/Allendorf führt mich meine Radkarte auf eine Bundesstraße. Die Geschwindigkeit, die hier gefahren wird, ist irrsinnig hoch und ich strampele um mein Leben, nicht lustig! Ich nehme mir eine Auszeit in Bad Sooden und überlege, ob ich nicht hier bleibe. Die Stadt ist reizend und sehr gepflegt. Die alten Fachwerkhäuser sind sehr schön wieder hergerichtet. Doch ich beschließe, weiter nach Göttingen zu fahren. Diese schreckliche Straße brauche ich nicht zum Frühstück. Morgen schon werde ich es bereuen, das ich mir nicht die Zeit für das Thermalbad genommen habe. Ich finde doch noch einen Radweg nach Göttingen. Es ist zwar ein Umweg, dafür aber sicher.
Doch bevor ich nach Göttingen aufbreche, treffe ich einen ganz besonderen jungen Mann auf seinem Tretroller. Er ist lustig und erzählt mir wie gerne er mit seinem Roller unterwegs ist und das es für ihn das Größte ist. Ich fahre eine Weile neben ihm her und freue mich, dass er seinen, eigentlich fast zu kleinen, Tretroller so gut beherrscht. Er kämpft mit schweren Behinderungen. Dieser Junge hat mir in einem Augenblick den ganzen Stress genommen, der sich bei mir über viele Kilometer aufgebaut hat - danke!
In Göttingen ist leider die Jugendherberge ausgebucht. So finde ich eine Unterkunft in einem kleinen Hotel, dass offensichtlich gerne von Studenten genutzt wird. Etwas muffig, aber ok und direkt in Startposition nach Hannover. Ich hätte mir gerne noch die Stadt angesehen, doch nach meiner wohlverdienten Dusche regnete es erneut, so verzichte ich auf meinen Stadtbummel – schade!
17. Juli 2012 123,59km
Göttingen – Bovenden – Nordheim – Bad Gandersheim – Lampspringe – Bodenburg – Bad Salzdetfurth – Hildesheim – Harsum – Sehnde – Lehrte
Zur Abwechslung regnet es und ich starte erst spät gegen 11.00 Uhr. Die Tour von gestern steckt mir noch in den Beinen und ich sehe übel aus. Egal, hier wird nicht gejammert! Ich lasse mir Zeit und fahre noch einmal kurz in die Innenstadt. Dort habe ich gestern ein Internet Cafe entdeckt. Ich schreibe schnell noch eine Nachricht im Forum. Es ist toll, wenn ich daran denke wie viele Freunde und Bekannte sich nach mir erkundigen und zu Hause mit dem Finger auf der Landkarte meinen Weg verfolgen, das baut mich auf. Inzwischen hat auch der Regen aufgehört. Die Radwege sind gut und die Beschilderung passt, doch habe ich Startschwierigkeiten. Bis Bad Gandersheim läuft es nicht optimal und ich beschließe dort meine Mittagspause zu machen.
Ich sitze vor dem Rathaus und sehe mir die alten Häuser an. Während ich mein Brötchen esse, spricht mich ein offensichtlich sehr interessierter Herr auf meinen Roller an. Er ist erstaunt und begeistert zugleich. Kein Wunder, denn er ist bereits Paris-Brest-Paris gefahren und begeisterter Randonneur. Er lädt mich zum nächsten Brevet ein. Eigentlich eine tolle Idee denke ich und beobachte die Wolken, die mich schon den ganzen Tag begleiten. Wir zollen uns gegenseitigen Respekt und gehen unsere Wege. Noch in Bad Gandersheim fängt es erneut an zu regnen. Auch wenn es nicht schön ist, aber ich gewöhne mich langsam daran. Erst zwei Stunden später lächelt die Sonne wieder milde durch die Wolken. Diese Regenschauer kosten mich viel Zeit und ich denke darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich meine Wandersandalen mitgenommen hätte, die sind bei Regen sicherlich besser als die ewig nassen Turnschuhe. Auch die alte Kurstadt Bad Salzdetfurth erstrahlt in einem neuen Kurhaus-Charme. Hildesheim ist schnell erreicht aber nur schlecht durchquert. Ich bin froh als ich die Stadt verlasse.
In Harsum möchte ich ein Stückchen am Kanal entlang fahren – zumindest so meine Theorie. Hier schwindelt mich meine Radkarte zum ersten Mal so richtig an und es ist ihr offensichtlich noch nicht einmal peinlich! Nach etwa 5 km übelsten „Radweg“ hört der Weg einfach auf. Ich suche in allen Richtungen, aber hier geht es tatsächlich nicht weiter. Ich weigere mich, den Trampelpfad zurück zu rollern und finde einen Feldweg zurück nach Harsum. Dort erfahre ich, dass es tatsächlich ein Kartenfehler ist - was für ein winziger Trost!
Ich sehe aus als wäre ich durch einen Kuhstall gefahren und das Hotel in Lehrte ist bereits gebucht. Ich freue mich auf Bernd. Seine Beschreibung zum Hotel: „Wenn du in Lehrte ankommst, an dem Aral-Schild links und gleich wieder rechts“ - habe ich gemacht. Doch leider gibt es mehr Aral-Schilder in Lehrte als mir lieb sind. So nutze ich die „mobilen zweibeinigen Navigationshilfen“ um das Hotel zu finden. Leicht entnervt erreiche ich um 19.30 Uhr mein Ziel.
18. Juli 2012 101,32km
Lehrte – Burgdorf – Celle – Bergen – Wiezendorf – Bispingen – Volkwardingen – Wilsede
Es regnet. So bleibt mir die Zeit für ein ausgedehntes Frühstück. Auch wenn ich es schon wieder bedaure, das mir abends die Zeit fehlt. Wie schön die Strecke wird, ahne ich noch nicht. Nach meiner gestrigen Erfahrung mit der Flunkerei meiner Radkarte, entschließe ich mich, die Landstraßen zu fahren. Zu meinem Erstaunen sind neben den Straßen perfekt ausgebaute Radwege, so komme ich gut voran. Celle wollte ich mir nicht ansehen. Ich war nicht recht in Stimmung und kannte die Stadt schon. Ich genieße lieber die Ruhe auf meinem Radweg und entdecke Dörfer, die so klein sind, dass es keine Straßennamen gibt. Die Häuser sind einfach nummeriert. In Wiezendorf fahre ich entlang des Truppenübungsplatzes, landschaftlich schön und ruhig, bis mich eine Horde Panzer & Co. überholen und mich aus meiner Romantik reißen. In Folkwardingen beginnt eins der schönsten Naturschutzgebiete, das ich je gesehen habe. Die Straßen sind für Autos gesperrt. Noch denke ich, dass der Asphalt kilometerlang so weiterführt. Doch ich irre mich und muss wieder mit unbefahrbarem Kopfsteinpflaster vorlieb nehmen. Die Landschaft ist so schön, dass ich es gerne in Kauf nehme. Die Heide fängt langsam an zu blühen. Ganz zaghaft zeigen sich hier und da zart lilafarbene Blüten. Der Boden duftet und die Sonne zaubert ein wunderbares Licht in die Landschaft. Alte reetgedeckte Höfe sind zu sehen. Ein paar Reiter genießen mit mir die Heide…
Nach etwa vier Kilometern Fußmarsch finde ich in Wilsede einen Hof mit Gastronomie. Im Aushang erkenne ich, dass man hier auch übernachten kann. Ein Blick auf meine Karte zeigt mir, dass auch die nächsten Kilometer bis nach Undeloh nur zu Fuß zu bewältigen sind. Plötzlich fällt mir ein, es sollte ja „a Genusstour“ (Insiderwitz eines Österreichers) werden und bisher hatte ich mehr Tour als Genuss, Zeit dieses zu ändern! Ich bekomme ein schnuckeliges Zimmer in einem der alten Häuser. Ich genieße noch lange die Stille auf der Terrasse und kann kaum genug von der unbeschreiblichen Heideluft bekommen. Die Sonne taucht zum Sonnenuntergang alles in ein gold-gelbes Licht, bisher eine der schönsten Strecken. Zur Belohnung bestelle ich mir einen Matjes Teller, der Norden kommt merklich näher.
19. Juli 2012 91,33km
Wilsede - Undeloh – Sahrendorf – Ollsen – Hanstedt - Arendsdorf – Jesteburg – Berendstorf – Hittfeld – Wilstorf – Harburg – Moorburg – Finkenwerder – mit der Fähre über die Elbe – Eimsbüttel, Eidelstedt – Quickborn
Da ich früh starten möchte, verzichte ich auf mein Frühstück im Hotel und stehe um 7.00 Uhr neben meinem Roller. Ich mache mich auf den Fußmarsch nach Undeloh und genieße die Stille. Es ist so ruhig, dass ich jeden Regentropfen auf meiner Jacke hören kann. Die Hasen sind schon vor mir wach und die Pilzsammler stehen offensichtlich noch vor den Rollerfahrern auf.
In Undeloh endet das Naturschutzgebiet. Man erkennt es ohne große Probleme an den zahlreichen Souvenir Shops. In den Auslagen findet man Heidschnucken Felle, Puschen, selbst gestrickte Socken und Plüschtiere. Der Bäcker hat schon geöffnet und ich bekomme mein Lieblings Frühstück, einen Pott Kaffee und ein Croissant. Ich rolle durch die kleinen Dörfer. Zahlreiche Regenschauer später bin ich in Jesteburg (wieder eins der ganz besonders reizenden Dörfer). Hier befindet sich der „Franzbrötchen Äquator“! An dieser klebrigen Köstlichkeit kann ich nicht vorbei rollern und gönne mir ein zweites Frühstück. (Für Nicht-Nordlichter: Franzbrötchen sind ähnlich wie Croissants, nur mit Zimt und plattgedrückt.) In Bispingen fahre ich hinter der Skihalle her. Mich packt unweigerlich das Gefühl, Skifahren zu wollen. Immer wieder muss ich an die 14a in Ischgl denken und summe leise „Joana“ vor mich hin, sommerliche Entzugserscheinungen! Ein paar Monate noch und mein Roller muss mit ansehen, wie ich meine Skier einpacke - das ist nur gerecht!
Doch von nun an kann ich mir den Regen nicht mehr wegdenken. Es wird immer schlimmer. Mit dem ich die Stadtgrenze Hamburgs erreiche, habe ich das Gefühl die Welt geht unter. Meine größte Sorge: So kann ich meine Tour nicht beenden. Entweder ertrinke ich, werde vom Blitz erschlagen oder im günstigsten Fall vom Auto überfahren. Ich hatte Glück und werde nicht von Neptuns Rache heimgesucht und von den Autofahrern verschont. Eigentlich wollte ich durch den alten Elbtunnel fahren, doch irgendwie (meine Konzentration lässt langsam zu wünschen übrig) habe ich eine Abzweigung verpasst. Ich bin nicht mehr bereit umzukehren. Es ist kalt, ich bin völlig durchnässt und leicht entnervt. So entschließe ich mich, die Fähre von Finkenwerder aus zu nehmen. Im Nachhinein war es nicht die schlechteste Entscheidung, da der Verkehr in dieser Richtung für mich wesentlich erträglicher ist und ich besser in Bewegung bleibe. Wenigstens ist es auf der Fähre trocken. Ich steige am Fischmarkt aus, da ich noch ein paar Meter an der Elbe entlang rollen möchte.
Aus Hamburg herauszufahren stellte kein großes Problem dar. Zu meinem Erstaunen fand ich lauter kleine Fahrrad- und Rollerfreundliche Wegweiser. Doch immer wieder zwingen mich starke Regenfälle zu unfreiwilligen Pausen. Ich bin nicht mehr bereit, meine angetrocknete Jacke einem erneuten Schauer auszusetzen. Gegen 17.00 Uhr erreiche ich Quickborn. Eigentlich wollte ich ja noch weiter bis nach Bad Bramstedt fahren, doch mag ich dieses durchgeweichte Gefühl nicht mehr ertragen und erkundige mich im örtlichen Fahrradgeschäft nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Das Hotel ist nur zwei Kreuzungen weit entfernt. Ich freue mich auf eine heiße Dusche. Da ich morgens noch mit Sonnenschein gerechnet habe, habe ich mich brav mit Sonnenöl eingerieben. Was mir natürlich nach kürzester Zeit als Emulsion in die Handschuhe und in meine Socken gelaufen ist. An dem restlichen Ölgemisch haftet Bremsstaub und Reifendreck besonders gut! Essen mag ich nichts mehr, doch gönne mir zwei Bierchen in der angeschlossenen Kneipe. Die angebotene Sorte Bier aus dem Sauerland ist so hell, die möchte ich nicht noch als Radler verdünnt bekommen. Ich komme ins Gespräch mit der Inhaberin. Auch sie ist leidenschaftliche Radfahrerin und war über meinen Roller sehr erstaunt. Sie ist im letzten Sommer mit Freunden den Ochsenweg bis nach Dänemark geradelt. 4 Tage hat sie dafür benötigt. Ich mache mir Gedanken, wie lange ich wohl noch bis Flensburg brauche. Ich würde ja gerne die Strecke an einem Tag fahren, doch scheint es mir etwas lang zu sein. Bis nach Rendsburg wäre es etwa die Hälfte. 75 km am Tag sind mir aber zu wenig. Ich lasse es auf mich zukommen, das Wetter soll besser werden, zumindest soll es nur noch 4-5l/qm regnen und nicht mehr 21 Liter wie heute. In meiner angeblich wasserfesten Ortlieb Lenkertasche fand ich das Jugendherbergsregister aufgequollen als Brei am Boden. Auch die Landkarte gibt das Wetter in Deutschland hervorragend wieder, Zeit ins Bett zu gehen. Ich brauche noch sehr lange bis mir endlich wieder warm wird. Kein schöner Tag heute, denke ich mir.
20. Juli2012 ca.135km
Quickborn - Bad Bramstedt - Borgstedt - Aukrug - Jevenstedt - Rendsburg - Schleswig - Flensburg
Ich verzichte erneut auf mein Frühstück im Hotel, um frühzeitig gegen 7.00 Uhr loszurollern. Noch in Quickborn finde ich ein gemütliches Frühstücks-Bistro, in dem ich mit lustigen Geschäftsleuten meinen Kaffee trinke. Sie halten mich für etwas verrückt mit dem Rennrad noch heute nach Flensburg zu fahren. Ich erspare es mir ihnen zu erklären, dass es sich dabei nicht um ein Fahrrad, sondern um einen Roller handelt. Es hätte meinen Start unnötig verzögert. So rolle ich gegen 8.30 Uhr frisch befrühstückt Richtung Rendsburg, zu meinem Erstaunen auf fast perfekten Radwegen entlang der Bundesstraße. Ich komme mir vor wie auf einer Fahrrad–, pardon, Rollerautobahn. Kurz vor Bad Bramstedt entdecke ich eine KZ-Gedenkstätte mit hergerichteten Baracken. Es schaudert mich, aber ich halte an und nehme mir etwas Zeit.
Meine Rollerautobahn ist wieder nicht in meiner verlogenen Karte eingezeichnet. Macht nichts, ich habe auch meinen Stolz, denke ich mir und versuche so lange wie möglich auf dem Roller-Highway zu bleiben. Heute weiß ich, dass die Straße bis kurz vor Flensburg derartig komfortabel ausgebaut ist. Bis Rendsburg ist mir die Strecke eindeutig zu kurz für eine Tagesetappe. Nach dem ich auch an diesem Tag meinen sportlichen Übungen (Regenjacke an- und wieder ausziehen) gerecht geworden bin, ist es mir irgendwann egal, immerhin sind es jetzt leichte Sommerschauer. Ich lasse meine Jacke in der Tasche und roller so vor mich hin. Kurz vor Rendsburg spricht mich ein Rennradler an, ob ich mich hier auskenne. Ich antworte ihm: „Nein, entschuldige Matthias, aber du kannst gerne einen Blick in meine Karte werfen!“ Wir kennen uns von den RTF’s. Matthias ist Mitglied im Herforder Radsport Club. Seine Navigation gab ihm nicht genügend Auskunft - eine lustige Begegnung! Matthias macht hier öfters Urlaub um sein Rennrad Gassi zu führen. Er gibt mir den Tipp, in Rendsburg nicht über den Kanal sondern unten drunter durchzufahren. Wir wünschen uns noch einen schönen Urlaub und fahren weiter unsere Wege. Der Kanal ist von der südlichen Seite gut zu finden. Ich habe die Wahl zwischen einer 150 m langen Rolltreppe oder einem Fahrstuhl. Eine so lange Rolltreppe kenne ich nur aus der Zeche Zollverein. Dort hat Rem Koolhaas sie sehr eindrucksvoll in Szene gesetzt. Diese hier ist zwar nicht ganz so spektakulär beleuchtet, aber auch interessant. Im Tunnel unter dem Kanal ist es recht frisch und so beeile ich mich, um wieder in Bewegung zu kommen. Rendsburg sehe ich mir ein anderes Mal an. Es ist mir einfach zu kühl für einen Stadtbummel. Von Rendsburg bis Schleswig ist es auf meinem Roller-Highway nicht mehr weit.
In Schleswig gibt es eine Jugendherberge und viel zu sehen, aber sollte ich jetzt etwa 40 km vor meinem Ziel noch eine weitere Pause einlegen? Der Regen nimmt mir die Entscheidung ab. Keine Stadtbesichtigung – weiter! Ich treffe auf einen Herrn, der sehr interessiert an meinem Roller ist. Wir tauschen ein paar Worte bis er auf mein Trittbrett starrt (so dachte ich zumindest). Plötzlich stellt er lauthals fest „Ey Alter, du hast ja Fußballerwaden!!!“ – Na Dankeschön, denke ich mir, etwas blumiger hätte er es schon verpacken können! In Schleswig beginnt (oder endet) die Flensburger Straße, die wie der Name schon sagt, nach Flensburg führt. Die Hügel hier haben durchaus einen recht erwachsenen Charakter. Ich dachte immer, der Norden ist platt. - Was man nicht alles lernt, wenn man im Winter nicht schläft! (Zitat von Maxl dem Murmeltier aus meinen Lieblings Kindergeschichten von James Krüss.)
Flensburg scheint mich magisch anzuziehen. Da stört mich auch die ältere Dame am Berg mit ihrem E-Bike nicht mehr. Ich überhole sie. Doch habe ich nicht mit Ihrer Akkuleistung gerechnet. Das war offensichtlich doch zu viel für die Frau, sich am Berg von einer Rollerfahrerin überholen zu lassen! Sie schaltet alles zu was ihre zusätzliche Motorunterstützung zu bieten hat und ist offensichtlich zufrieden. Unterwegs reserviere ich mir ein warmes Plätzchen in der Flensburger Jugendherberge. Jetzt kann nichts mehr schief gehen. Noch einmal meinem kleinen Glücksschweinchen Rosalie den Rüssel gestreichelt und schon ist die Stadtgrenze Flensburgs erreicht. Es ist 18.41 Uhr und ich bin überglücklich!!!
Leider zeigt mein Tacho heute keine Daten an. Wenn es nach ihm geht, bin ich heute 6,10 km gefahren. Frechdachs! Der hat sich doch mit meiner Radkarte solidarisch erklärt! Egal. Laut Notizen müssten es heute etwas über 135 km gewesen sein. Die Luft wird salziger und es lassen sich mehr und mehr Möwen blicken. Leider liegt die Flensburger Jugendherberge im Stadtteil Mürwik und das ist scheinbar die höchste Erhebung hier in der Stadt. Die paar Höhenmeter sind eher ein Genuss als eine Qual. Ich bekomme sogar ein Einzelzimmer. So erspare ich Mitbewohnern meine durchnässten und muffeligen Turnschuhe. Eigentlich wollte ich abends noch ein Flens trinken. Doch ich bin einfach zu müde und die Bettdecke ist zu kuschelig. Ich verzichte auf mein ortstypisches Bierchen.
21. Juli 2012 41,00km
Die dänische Grenze
Es lässt mir keine Ruhe. Ich möchte meine Tour ordnungsgemäß beenden. Auch wenn ich mein gesetztes Ziel bereits erreicht habe, so möchte ich heute doch noch an die dänische Grenze fahren.
In der Jugendherberge habe ich noch einige nette Gespräche mit ein paar Gästen, die gestern Abend meine Ankunft mit meinem Tretroller beobachtet haben. Nach einem geselligen Frühstück und einer kurzen Nachricht im Forum, mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Dort wartet noch ein Outdoor Ausstatter auf meine Ankunft. Ich habe bei einer Filiale in Bielefeld diverse Dinge für meine Tour gekauft. Das fanden die Verkäufer so interessant, dass sie mich gebeten haben, mich in Flensburg zu melden. Die Flensburger Kollegen waren zu meinem Erstaunen sehr überrascht über meine Ankunft. Ist auch komisch, da kommt eine Frau aus einer Stadt, die es nicht gibt (Bielefeld) auf einem Tretroller daher und behauptet sie hätte Deutschland durchquert.
Die Fotos sind schnell gemacht und ich rolle weiter (die Berge hinauf) nach Dänemark. Erst an der Grenze wird mir bewusst wie lang die Strecke war. Zumindest ist sie so groß, dass ich sie auf meinem Globus zu Hause erkennen müsste. Aber so richtig realisieren kann ich es noch nicht. In Kurså setze ich mich erst einmal auf dänischen Boden und genieße meine Ankunft. Ich finde einen freundlichen dänischen Radfahrer der noch schnell ein Foto von mir macht. Ich halte dieses Foto für wichtig, da ich mir gerade selber nicht glauben kann. Das muss gefeiert werden! Ich finde einen typischen dänischen Hot-Dog Stand. Die Pølser habe ich das letzte Mal in meiner Kindheit gegessen. Sie sehen unnatürlich aus. Ich habe die Vermutung, dass man mit diesen „Leuchtwürstchen“ nachts auf den Flughäfen die Flugzeuge einweist. Aber ich wollte ja etwas typisches essen. Sie schmecken noch immer merkwürdig aber typisch! Auf dem Weg zurück nach Flensburg stellt sich bei mir ein wahres Glücksgefühl ein. Ich rolle mit viel Genuss die Straße Richtung Flensburger Innenstadt, es ist ein "Flow" wie ich es vom mountainbiken kenne, eine Art Surfen. Toll was Adrenalin alles so bewirken kann.
In Flensburg setze ich mich an den Hafen und atme die salzige Luft tief ein. Ich stelle fest, ich bin ein echtes Nordlicht. Ich liebe die raue Luft und das Geschrei der Möwen. Für mich war es die richtige Entscheidung von Süden nach Norden zu fahren. Ganz abgesehen von den günstigeren Windbedingungen. Ich hatte auf meiner Tour tatsächlich auffallend häufig Wind von Süd-Westen. Nun genieße ich meine Ankunft und nehme mir die Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel in Flensburg. Ein frisch gepresster Orangensaft krönt diesen Moment.
Doch noch ist meine Reise nicht ganz beendet.
Ich muss noch nach Glücksburg.
Dort haben wir das Strandhotel gebucht.
So muss ich wieder über den Berg nach Mürwik und weiter nach Glücksburg. Es sind heute noch einmal 40 km, doch die belasten mich jetzt wirklich nicht mehr. Ich bin noch immer im „Adrenalinrausch“ als ich das Strandhotel erreiche. Zuerst möchte ich auf den Seesteg, um wenigstens ein Seesternchen gesehen zu haben. Hier komme ich natürlich um neugierige Gespräche mit den Gästen nicht herum. Es scheint etwas unglaubwürdig zu sein, als ich ihnen erzähle, was für eine Tour ich gerade beendet habe. Sie wünschen mir alles Gute und freuen sich mit mir. Mit Rollern findet man immer wieder sehr nette Gespräche. Doch jetzt brauche ich unbedingt einen Kaffee. Ich checke im Hotel ein. Mein Roller darf in einem Büro übernachten. Leider ist Bernd mit meinem Gepäck noch nicht da und so muss ich mich wohl oder übel mit meiner Trekkinghose, Funktionshemd und Turnschuhen in das Kaffee des Hotels setzen. Viele Herrschaften sehen mich erstaunt an und machen ihre Tischnachbarn diskret auf meine Anwesenheit aufmerksam. – Wie peinlich – denke ich mir zuerst, doch dann sitze ich genüsslich schmunzelnd vor meinem Kaffe und überlege mir, mit welchen Autos die Herrschaften wohl angereist sind.
Nach dieser Tour habe ich meine Wunschliste für den Weihnachtsmann um ein Paar wasserdichte Socken und eine kurze Regenhose ergänzt.
Ansonsten würde ich alles wieder genauso machen.
Nur ein paar Ärmlinge fehlten mir zu meinem Glück.
Ich hätte vielleicht noch ein oder zwei Shirts einsparen können. Doch die fielen bei meinem recht geringen Gepäck kaum auf.
Aus Sicherheitsgründen würde ich nicht mehr auf eine Warnweste verzichten wollen. Der Verkehr ist auf Dauer nicht nur stressig, sondern auch recht gefährlich. Daher bin ich zum Ende meiner Tour immer häufiger auf Fußwege ausgewichen. Leider bin ich mit weniger Leuten ins Gespräch gekommen wie ursprünglich gedacht. Vielleicht lag es daran, dass viele Radler von Norden nach Süden fahren oder einfach nur daran, dass ich mir doch zu wenig Zeit gegeben habe.
Ein wenig schade fand ich es, dass ich meine Tagesetappen beschränkt waren. Wegen dem häufig recht späten Frühstück in den Hotels (meist ab 8.30 Uhr) kam ich erst sehr spät auf den Roller. Beenden musste ich meine Touren gegen 17.00 Uhr. Nicht immer war in jedem Dorf ein geeignetes Hotel oder Jugendherberge zu finden, da war eine zeitige Suche angebracht. Vorabplanungen und Buchungen machten wegen den unterschiedlichen Wetter- und Streckenbedingungen nur wenig Sinn.
Es hat Spaß gemacht, jetzt bin ich vom Roller-Reise-Virus infiziert!
